Wort des Pfarrers

Liebe Gemeindemitglieder, liebe Leserinnen und Leser,

es könnten irgendwelche Hände sein: von einem Mann, einer Frau, deine Hände, meine Hände, Menschenhände.

Tatsächlich sind es die Hände einer älteren Frau, die in vielfacher Hinsicht krank, verletzt, schwach ist. Die sehr am Rande des Lebens steht – in ihrer bescheidenen, demütigen Art, aber auch, weil sie einfach nichts hat, womit sie sich groß in die Mitte stellen könnte.

Gerade diese bedürftige, sehr einfache Frau hat eröffnet, was Advent und Weihnachten heißen kann, wie Advent, wie das Kommen Gottes in unsere Welt, in mein Leben geschehen kann.

Ich sehe Hände, sehe Licht

Zuerst sehe ich offene Hände. Hände, die einfach Platz haben, die frei sind für etwas, die eine Sehnsucht ausdrücken, die bedürftig sind. Es sind Hände, die gerade nicht etwas tun, anpacken, gestalten, über die Runden bringen. So, wie sie sind, sprechen sie eine Sehnsucht an nach Wärme, Geborgenheit, Halten und Gehalten-Werden, nach Leben, Frieden, Sinn, Gott.

Das ist mutig und ein Zeichen von Stärke, die Hände einfach so hinhalten zu können, etwas zu erwarten – persönlich, als einzelner Mensch, und gemeinsam, als Gruppe verantwortlicher Menschen.

Dann sehe ich das Licht in der Mitte der Hände. So, wie die alte Frau es birgt, ist es in diese Hände hinein geschenkt worden. Es sieht rund, erfüllt, idyllisch aus – ist es aber gar nicht, wenn ich mir bewusst mache, wie sehr es wehtun kann, auf etwas warten und hoffen zu müssen. Da taucht das Bild von der Wüste auf, vom Leben an der Grenze zum äußeren und inneren Verdursten, wie es die Propheten und Psalmen schildern.

Wenn ich das Bild sehe, dann erahne ich ein bisschen um die Not ihres Lebens. Ich kann ein wenig ahnen, wie groß die Sehnsucht und Bedürftigkeit ist, in der sie auch steht. Und doch liegt in dem Bild viel Heiles: wie die Hände ganz und achtsam da sind für dieses Licht; wie dieses Licht umgekehrt einen Platz braucht, wie es gehalten und umfasst werden will, wie es die Sehnsucht ausstrahlt, aufgenommen zu werden.

Ich sehe etwas Ganzes in aller Gebrochenheit, das tief geht, das aus der Mitte kommt, zur Mitte wird. Die Sehnsucht Gottes nach uns. Gott, der sich persönlich in die Hand jedes einzelnen Lebens gibt, der Raum sucht im Leben – in meinem Leben, im Leben von uns Menschen, im Leben als Familie, als Pfarrei, überall dort, wo wir gemeinsam Raum geben können, aber auch ein schmerzliches Offenhalten aushalten müssen.

Fragen steigen auf

Was gebe ich, was geben wir gemeinsam den Menschen, mit denen ich, mit denen wir etwas tun: nur das Vordergründige, um das es im Planen und Organisieren geht, oder vor allem, mit allem und durch alles Licht und Wärme?

Was erwarte ich, wenn ich die Hände ins Leben halte?

Was erwarten wir, wenn wir als Glaubende die Hände offen hinhalten?

Wie viel Bedürftigkeit lasse ich zu, halte ich selber aus?

Wie viel Bedürftigkeit lassen wir zu, halten wir aus?

Ich vertraue darauf, dass in meine und in unsere bedürftigen, erlösungsbedürftigen Bereiche einer kommt, der von sich sagt: „Ich bin das Licht der Welt“ (Joh 9,5). Von dem schon das Alte Testament verkündet: „Der König Israels, der Herr, ist in deiner Mitte; du hast kein Unheil mehr zu fürchten. An jenem Tag wird man zu Jerusalem sagen: Fürchte dich nicht, Zion! Lass die Hände nicht sinken! Der Herr, dein Gott, ist in deiner Mitte, ein Held, der Rettung bringt. Er freut sich und jubelt über dich, er erneuert seine Liebe zu dir“ (Zef 3,15b-17b). Viel Heiles in aller Gebrochenheit.

Dieses Heil des Mensch gewordenen Gottessohnes, dieses Heilende des Weihnachtsfestes wünsche ich Ihnen allen
Ihr Pfarrer
Wolfgang Schultheis