Liebe Gemeindemitglieder,
liebe Leserinnen und Leser,
der Tod eines Kindes ist vielleicht das Schlimmste, das Eltern widerfahren kann. Der Schmerz um den Verlust des gerade erst begonnenen Lebens. Das ist wider der Natur, das zerstört die Zukunft, hinterlässt eine Leere, in der kein Platz mehr ist für Sinn. Und über allem die unbeantwortbare und deshalb umso quälendere Frage: Warum?
Das ist heute so und war auch früher nicht anders. Auch nicht bei dem kleinen Alan, der vor über 85 Jahren verstorben ist.
Die Menschen, die an diesem Grab getrauert haben – Eltern, Geschwister, Verwandte – sind auch schon längst verstorben. Zurück bleibt das Grabmonument, das damals etwas Besonderes darstellte, wie auch heute Kindergräber besonders geschmückt sind. Warum steht er noch, der Grabstein auf dem Friedhof der südenglischen Stadt St. Austell?
Nur historisches Zeugnis längst vergangener Grabkunst? Schönes Beiwerk zwischen all den oft schmucklosen Grabsteinen heutiger Zeit? Oder doch Beleg dafür, dass Trauer und Tod Zeit und Leben überdauern? Dass der Tod doch das letzte Wort hat? Vielleicht auch ein „Memento mori“, eine Erinnerung an die eigene Vergänglichkeit, wie der Beter es im Psalm formuliert: „Unsere Tage zu zählen, lehre uns! Dann gewinnen wir ein weises Herz“ (Psalm 90,12)?
Vielleicht sind es diese Empfindungen, die viele Menschen davor zurückschrecken lassen, einen Friedhof zu besuchen. Die ihn nicht betreten können ohne ein mulmiges Gefühl. Ein Gefühl, das ich verstehen kann, aber nicht teilen. Denn Friedhöfe sind für mich nicht nur Orte des Todes und der Trauer, sondern auch Orte der Auferstehung und des Lebens – und für viele ältere Menschen Orte der Begegnung mit anderen, die das gleiche Schicksal teilen. Ein wenig eine Frage des Blickwinkels. Wie bei dem wichtigsten „Friedhof“ unseres Glaubens. Der Ort, an dem Jesus bestattet wurde. Im Westen kennen wir ihn unter dem Namen „Grabeskirche“; orthodoxe Christen nennen sie „Auferstehungskirche“ – eine Bezeichnung, die einen anderen Akzent legt.
Dieser Akzent ist mir wichtig. Ich möchte weder den Tod noch die Trauer über das viel zu früh endende irdische Leben des kleinen Alan bagatellisieren – dafür erlebe ich in der Notfallseelsorge viel zu oft solche herzzerreißenden Momente, doch unser christlicher Glaube schaut darüber hinaus, schaut auf das Leben; hofft, dass Alan mit denen, die um ihn getrauert haben, längst wieder vereint ist.
„Totenmonat“ November
Im Monat November nimmt das Totengedenken einen großen Stellenwert in der Kirche, aber auch in unserer Gesellschaft ein. Die katholische Kirche feiert am 2. November, dem Tag nach dem Hochfest Allerheiligen, an dem das Gedächtnis aller Heiligen und Seligen begangen wird, das Gedenken an alle Verstorbenen. Dieses Gedenken ist so bedeutend und wichtig, dass Allerseelen sogar an einem Sonntag – dem Tag der Auferstehung – gefeiert wird. Denn es hat einen guten Grund: Das Zentrum des christlichen Glaubens bildet die Hoffnung auf die Auferstehung der Toten, welche in Ostern, der Auferstehung Christi, grundgelegt ist.
Deshalb gehen wir bereits am Vortag auf den Friedhof, deshalb werden die Namen der in den zurückliegenden zwölf Monaten Verstorbenen verlesen, deshalb brennt die Osterkerze. Dieses Licht von Ostern ist ein Symbol der Verbundenheit und zugleich Trost, dass den Verstorbenen „das ewige Licht leuchtet“. Dabei werden auch die Gräber mit Weihwasser gesegnet. Dieses Wasser erinnert uns daran, dass wir durch die Taufe zu Christus gehören und diese Gemeinschaft auch über den Tod hinaus fortbesteht. Aus diesem Grund ist das „Weihwasser-Geben“ auch fester Bestandteil der Verabschiedung und Beerdigung, denn es zeigt die Verbundenheit von Lebenden und Verstorbenen durch die Taufe aus.
Auch die evangelischen Kirchen gedenken im November der Verstorbenen: am letzten Sonntag im Jahreskreis, dem „Totensonntag“ oder „Ewigkeitssonntag“. Auch ein staatlicher Totengedenktag liegt im November: am zweiten Sonntag vor dem 1. Advent (in diesem Jahr am 19.11.) gedenkt die Bundesrepublik Deutschland am „Volkstrauertag“ aller Kriegsopfer und –toten der beiden Weltkriege und jeder Gewaltherrschaft.
Ich wünsche Ihnen eine gesegnete Zeit
Ihr Pfarrer
Wolfgang Schultheis